Stadt Essen in Flammen!

Erstes Bibliolog-Festival in Essen

Von Gerald Kunde

„Stadt Essen in Flammen“ – Das ist Gott sei Dank nicht wörtlich gemeint, sondern im Sinne des „weißen Feuers“ des Bibliologs. Unter dem Motto „Im Anfang …“ haben wir in der Ökumenischen Bibelwoche vom 21.–28. Januar 2024 ein Bibliolog-Festival veranstaltet. An sieben verschiedenen Orten in der Essener Innenstadt, die kostenfrei ihre Räume zur Verfügung stellten und wo sich bibel-interessierte Menschen treffen, wurden Bibliologe angeboten, z.B. in der Marktkirche, im Dom, in der Freien ev. Gemeinde und an anderen Orten.

Das hieß praktisch: Wer teilnehmen wollte, brauchte einfach nur zu kommen. Auch Gruppen waren willkommen, mit der Bitte um vorherige Anmeldung. (Bibelkreis, Jugendgruppe usw.) Eintritt frei. Anschließend gab es bei Tee und Knabbereien „Bibliolounge“ – eine Zeit zum Austausch und zum Kennenlernen.

Auf einer Homepage haben wir grundlegende Informationen und ein Programm zur Verfügung gestellt, das sich im Laufe der Zeit immer mehr füllte, je nachdem, welche Orte dazukamen und welche Bibliolog-Leitenden sich bereit erklärten, einen Bibliolog zu halten. Die Einladungen haben wir per Email über unsere bekannten Netzwerke in Essen verschickt, Plakate gedruckt und ausgehängt und kleine Karten mit den wesentlichen Infos verteilt.

Wir: das sind Burkhard Lücking (Koordination, ehrenamtlich), Michaela Langenheim (Pfarrerin, Trainerin) und Gerald Kunde (Pastor, Trainer) in Essen. Außerdem hatten wir die Regionalgruppe im Rheinland als ideellen Träger mit an Bord und einige ehrenamtlich Mithelfende. Die Teilnehmenden kamen aus unterschiedlichen Kirchen und Gemeinden, die meisten von ihnen aus Essen, und einige kamen von weither angereist. Die Gruppen waren unterschiedlich groß, einige mit 4-5 Personen, andere mit bis zu 60-70 Personen.

Unser Fazit: Es war eine erfüllte und intensive Zeit mit unterschiedlichen Bibliologen und Teilnehmenden an vielen Orten. Das macht Lust auf mehr! Eine Wiederholung Anfang 2025 ist geplant!

Wenn der Funke überspringt …

6. Internationaler Bibliolog-Kongress in Präsenz und digital
28. bis 30. März 2025 im Haus Altenberg, Deutschland

Immer wieder ereignet sich im Bibliolog etwas, das sich besser spüren als benennen oder gar erklären lässt. Im Bild gesagt, springt ein Funke über, wenn das weiße Feuer geschürt wird und das schwarze Feuer zu lodern beginnt. Aus der Sicht von Bibliologinnen liegt es nahe, dass dieses Erleben etwas mit Kreativität und Inspiration zu tun hat, die bei den Menschen und auch bei den Texten etwas in Gang setzt.

Aber was genau bedeutet das? Peter Pitzele hat es einmal so ausgedrückt – als Antwort auf die Frage, was er eigentlich unter „have fun“ versteht: „Wenn das weiße Feuer entzündet und das schwarze Feuer erwärmt und erhellt ist und wenn der Verstand zu erkennen beginnt, dass er frei in neuen Wegen des Verstehens spielen kann, dann öffnet sich das Herz mit einer gewissen unschuldigen Freude. Es scheint, dass das, was statisch war, sich bewegt, dass das, was fixiert war, befreit wird. Aus diesem Prozess atmet der Geist, der Heilige Geist in uns, und wir spüren unser fantasiereiches Leben; wir sind mehr in Kontakt mit der Vitalität des gegenwärtigen Augenblicks. Verstand und Gefühl sind nicht mehr getrennt und wir spüren die Berührung der Freude.“ Peter Pitzele

Der Bibliolog-Kongress 2025 möchte eine solche kreative Inspiration sowohl erlebbar machen als auch tiefer verstehen, was dabei passiert. Zwei Vorträge werden fragen, was eigentlich mit der Bibel passiert, wenn wir kreativ mit ihr umgehen, und was andererseits in uns Menschen geschieht. Die Workshops werden einen Akzent auf dem kreativen Erleben setzen, zum Teil in der Begegnung von Bibliolog mit anderen kreativen Formen wie Biblioltanz, BiblioArt oder Bibliolog mit Musik und zum Teil mit Aufbauformen, die das weiße Feuer auf mehreren Ebenen entfachen. Daneben wird es auch Raum zur Begegnung mit anderen Bibliologinnen und (digital) mit Peter und Susan Pitzele geben.

Herzliche Einladung – und „have fun“ in Altenberg!

Prof. Dr. Uta Pohl-Patalong, Sprecherin des Bibliolog Netzwerk International
Rainer Brandt, Geschäftsführer des Netzwerkes
Marianne Bauer, Michaela Langenheim und Dietmar Fischenich, Bibliologtrainer*innen

Anmeldung bis 15.12.2024 unter www.josefstal.de

Bericht vom Konferenz der Trainer*innen vom 11.-13. April 2024 in Straßburg

Implizite Antijudaismen in christlicher Theologie und im Bibliolog

von Marina Schwabe und Dorothea Kleele-Hartl

Drei spannende, arbeitsreiche und unterhaltsame Tage im wunderschönen Straßburg im Centre Culturel St. Thomas konnten 32 Trainer*innen aus Deutschland, Frankreich, Österreich, Schweden, der Schweiz und den Niederlanden bei ihrer Konferenz erleben. Gastfreundlich organisiert wurde dies von Trainerin Laurence Hahn mit ihrem Team (Frankreich) und Trainer Uli Dällenbach (Schweiz).

20 Trainer*innen waren digital zugeschalten, so dass eine weltweite Teilnahme möglich war, z.B. aus Brasilien, Tansania oder Island. Wie immer war es eine Mischung aus dem gemeinsamen Erleben von Bibliologen, Netzwerkangelegenheiten und inhaltlichen Impulsen, aber wir hatten auch an einem Nachmittag eine touristische Tour durch die wunderschöne Stadt Straßburg.

Der inhaltliche Schwerpunkt der Konferenz lag auf dem Thema: Antisemitismus und Antijudaismus in christlicher Theologie und im Bibliolog. Dr. Daniela Koeppler, Gemeindepastorin in Osnabrück und bis vor einigen Jahren Referentin für Kirche und Judentum im Haus kirchlicher Dienste der Ev.-Luth. Landeskirche Hannover, zeigte in ihrem Vortrag auf, wie antijudaistische und antisemitische Feindbilder und Stereotype die Geschichte des Christentums prägten und bis heute prägen. Als Beispiel nannte sie unter anderem bildliche Judas-Darstellungen, in denen der Jünger Jesu als gierig, verschlagen und hinterhältig dargestellt wird. Dieses verzerrte Judasbild wurde im Laufe der Kirchengeschichte zum antisemitischen Bild für „die Juden“.

Markus Lange (Rabbiner, Bibliolog-Trainer, Hospiz- und Krankenhausseelsorger sowie Drama-/ Theatertherapeut) erarbeitete mit der Gruppe Fragestellungen und Perspektiven auf antijudaistische und antisemitische Tendenzen im Bibliolog. Er eröffnete den Bibliolog*innen unter anderem „Textauswahl“, „Rollenauswahl“ und „Teilnehmer*innen“ als mögliche Blickwinkel dafür, wo und warum judenfeindliche Tendenzen im Bibliolog auftreten können und wie man ihnen begegnen kann. Dabei wurde klar, dass die Konferenz erst der Anfang für weiteres gründliches Nachdenken über dieses wichtige Thema sein kann.

Wahlverwandtschaften! – Spiritual Empowerment mit Bibliolog

Eine Bibliolog-Erfahrung mit LSBTIQ+

Von Dr. Stephan Trescher

Wie kann Bibliolog queersensibel gestaltet werden?

Dieser Frage durfte ich zusammen mit zwei Vertreterinnen des Netzwerks ‚Kreuz und Queer‘ im Bistum Osnabrück, Maria Springwald und Beate Vennemann, die mich für einen Bibliolog-Workshop beim Queeren Festival „Gay in May“ 2024 in Osnabrück angefragt hatten, intensiv nachgehen. Gerne gebe ich unsere Überlegungen und Erfahrungen sowie den konkreten Ablauf des Workshops (pdf) unter dem Titel „Wahlverwandtschaften! – Spiritual Empowerment mit Bibliolog“ weiter.

Welche besonderen Bedürfnisse und Sensibilitäten queerer Menschen sind zu erwarten im Blick auf deren – meist biblisch unterfütterte – Pathologisierung, Kriminalisierung und Diskriminierung im Christentum? Wie kann positiv auf typisch queere Lebensthemen eingegangen werden? Wie können die Bibliolog-Rollen offen für vielfältige geschlechtliche und sexuelle Orientierungen angelegt werden? Auf welche Weise lassen sich auch für das Gottesbild patriarchale und heteronormative Einseitigkeiten vermeiden? Was ist in der Anrede der Teilnehmenden zu beachten? … Solchen Fragen bewusst nachzugehen, hat sich für uns als sehr lohnend herausgestellt. Die positiven Erfahrungen mit den Teilnehmenden im Workshop zeigten: Auch mit Menschen, die aus nachvollziehbaren Gründen ein ambivalentes, teilweise belastetes und distanziertes Verhältnis zu Christentum und Bibel haben, ist es gut möglich, bibliologisch zu arbeiten.

Ein Bibliolog mit 1200 Jugendlichen. Geht das?

Rainer Brandt im Interview mit der brasilianischen Bibliologtrainerin Adriane Dalferth Sossmeier aus Monte Alverne in Süd-Brasilien.

Adriane, du hattest in diesem Sommer die Chance, zusammen mit einem Team einen Bibliolog mit mehr als 1200 Jugendlichen durchzuführen. Wie kam es dazu, was war der Anlass? Welchen Text hast du für den Bibliolog gewählt? Wie habt ihr es möglich gemacht, dass die Jugendlichen antworten konnten?

Mit Freude und gleichzeitig mit einer „Gänsehaut im Bauch“ habe ich die Einladung der nationalen Koordination der Evangelischen Jugend unserer Kirche angenommen, einen Bibliolog mit mehr als 1200 jungen Menschen bei CONGRENAJE – dem Nationalen Kongress der Evangelischen Jugend – zu leiten, dem größten und repräsentativsten Raum für die Evangelische Jugend in der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien (IECLB).
Es handelt sich um eine Veranstaltung zur Stärkung des Engagements junger Menschen für das Evangelium von Jesus Christus. Sie fand vom 16. bis 20. Juli 2023 in Domingos Martins, Espírito Santo, statt. Es fanden Treffen mit Vorträgen, Meditationen, Bibelstudien, Gottesdiensten, Workshops, interaktiven Zelten, Dynamik, Gemeinschaft und Zusammenleben zwischen jungen Menschen aus ganz Brasilien und anderen Ländern statt. Das Thema lautete „Was ist dein Wesen?“. Und am Nachmittag des 18. Juli war es die Erfahrung des biblischen Textes von Lukas 14,16b-23 durch BIBLIOLOG. Während der Vorbereitung wurde mir klar, dass dies möglich sein würde, aber nicht allein. Der erste Schritt bestand also darin, 19 Bibliologen und Bibliologinnen (Personen, die bereits den Grundkurs absolviert hatten und an der Veranstaltung teilnehmen würden) um Hilfe zu bitten. Wir bildeten mit ihnen eine WhatsApp-Gruppe, und das war sehr motivierend. Wir einigten uns darauf, uns am Abend vor dem Bibliolog zu treffen, um die Details durchzugehen und einen Teil des Bibeltextes aus Lk 14 zu erleben und gleichzeitig die Schritte von einem Bibliolog wieder anschauen. Wir schulten auch das ECHOING, führten einen Dialog über die Verwendung der Mikrofone, arbeiteten die Details aus, wo jeder Bibliologe stehen würde und die Aufteilung in Paare. Wir hatten viel Spass und Zeit beim gemeinsamen Spielen, Singen und Reden. Denn alle sollten sich besser kennenlernen. Das war sehr wichtig!
Am Tag des Bibliolog kamen wir früh an und machten uns mit dem Mikrofon vertraut. Jeder Bibliologe, jede Bibliologin bekam ein orangefarbenes T-Shirt mit dem Bibliolog-Logo und stellte sich dann paarweise unter die mehr als 1.200 Menschen. Jedes Paar hatte ein drahtloses Mikrofon und eine „große Papphand“ mit einer Nummer darauf. Die Leute, die sprechen wollten, blieben hinter dem nächstgelegenen Paar stehen, und während sie sich positionierten, konnten sie nach meinen Anweisungen sprechen (Ich stand auf der Bühne und hatte die Hilfe einer Bibliologin an meiner Seite) und übernahm von dort das ECHOING. Es gab sehr viele Meldungen, dieser Moment war unglaublich, die Stille und die Aufmerksamkeit aller Menschen war ergreifend!

Danke, Adriane, ich stelle mir vor, dass es gar nicht leicht ist, angesichts der vielen Jugendlichen gut zu beginnen. Vielleicht kannst Du uns einige Tipps dazu geben, was geholfen hat gut in den Bibliolog hineinzukommen?

Bevor ich anfing, beobachtete ich die Leute genau: da die Veranstaltung in einem riesigen Zelt stattfand, in einem offenen Raum, mit vielen Leuten, die am Rande herumliefen, auf ihre Handys
schauten, sich unterhielten, begann ich mit einer Einladung. Ich bat alle sich umzuschauen im Raum. Und, dass jede Person, die am Rande stand, von jemandem mit Freundlichkeit aufgesucht würde, um sie einzuladen. (Dies geschah schon im Blick auf den Bibeltext im Sinne der Annahme einer Einladung!). Dieser Moment war sehr wichtig, und er hat funktioniert. Niemand wurde am Rande stehen gelassen, ohne sich zu beteiligen, und dann machte ich einen Deal f
ür die volle Beteiligung. Ich fuhr mit großer Dynamik fort in der Vorstellung und Präsentation der anwesenden Bibliologen. Ich benutzte einen imaginären Ball. Ich sprach über die Bedeutung der Vorstellungskraft und darüber, dass wir sie zur Reflexion und für Entdeckungen in unserem Leben nutzen können. Es scheint, dass diese Anwärmung von den Leuten sehr gut aufgenommen wurde! Hier in Brasilien haben wir entdeckt, das die Aufwärmung mit einem Spiel sehr wichtig ist, um gut in den Bibliolog einzusteigen!

Adriane, wenn du zurückblickst auf den Bibliolog, was geht Dir noch besonders nach? Was berührt Dich besonders?

Zum Beispiel der Beitrag einer Jugendlichen war sehr beeindruckend: Sie sagte im Bibliolog: “Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal zu einem Abendessen eingeladen werde“. (Ich wusste, wie sehr sie unter Diskriminierung litt). Ja, diese Erfahrung von Bibliolog im Congrenaje wird lange in Erinnerung bleiben und hat dem Bibliolog in Brasilien sicherlich einen Schub gegeben! Was mich auch besonders berührt hat, war die Freude und Motivation der ganzen Gruppe von Bibliologen und Bibliologinnen, die mitgeholfen haben. Sie haben mich motiviert Gottes Mission durch Bibliolog hier in Brasilien fortzusetzen! Ich bin jeder Person, die geholfen hat, jeder Stimme und jedem Gedanken, dem Organisationsteam von Congrenaje/ IECLB für ihr Vertrauen sehr dankbar! Danke an das Internationale Bibliolog-Netzwerk für dieses Werkzeug, das den Kontakt mit dem Wort Gottes bereichert!

Hier weitere Eindrücke:

„Ein Bibliolog mit mehr als 1200 Personen … wird es funktionieren? Ja, so war es. Es war sehr gut organisiert, in einfacher und verständlicher Sprache. Es war sehr gut organisiert, in der Zusammen-arbeit mit einem hervorragenden Unterstützungsteam. Die Jugendlichen haben aufmerksam zugehört, den Vorschlag verstanden und sich intensiv beteiligt. Es hat die Erwartungen übertroffen!“ (Pfarrer Edson Pilz)

„Bibliolog brachte ein Gefühl des tiefen Eintauchens in den biblischen Text selbst. Man lernte, sich in die Figuren hineinzuversetzen. Es vermittelte ein Gefühl der Nähe zu den Ereignissen, die zur Zeit Jesu oder davor stattfanden. Es war eine sehr interessante Erfahrung, wenn man bedenkt, dass mehr als 1.200 junge Menschen aus ganz Brasilien teilnahmen. Es war ein Austausch von Ideen und Gedanken, der sehr spontan verlief. Wenn man an die nationale Jugend denkt, hat der Dialog, der innerhalb des biblischen Textes entstand, Beispiele aus verschiedenen Kulturen gebracht, die Bibliolog bereichert haben.“ (Der junge Rony)


„Es ist schwierig, die Emotionen, die wir während dieser Tage erlebt haben, in Worte zu fassen. Unter den vielen wertvollen Erfahrungen möchte ich die Entwicklung des Themas hervorheben, das den CONGRENAJE von Anfang bis Ende durchzog. Ich möchte den Bibliolog erwähnen, der mit der Beteiligung der gesamten Gruppe durchgeführt wurde, was ihn zum Bibliolog mit der größten Anzahl von Menschen in der Welt machte.“ (Pfarrer Scheila dos Santos Dreher).

Erster Bibliolog-Kurs in Indien

Erster Bibliolog-Kurs in Indien

von Uta Pohl-Patalong

Im Februar 2024 fand der erste Bibliolog-Kurs in Indien statt, geleitet von meiner Schwester Maike Lauther-Pohl und mir. Zielgruppe waren Pfarrpersonen und angehende Pfarrpersonen der ev.-luth. Jeypore-Kirche, die im Bundesstaat Odisha im Osten Indiens liegt und aus Dalits (Kastenlosen) und Adivasi (Ureinwohner*innen, im Kastensystem ebenfalls ganz unten) besteht. Sie ist eine Partner-kirche der Nordkirche und meine Schwester und ich haben eine besondere Beziehung zu ihr, weil unser Urgroßvater sie vor ca. 140 Jahren mitbegründet hat. Der persönliche Kontakt kam zustande, als meine Schwester und ich 2020 mit einer Frauendelegation der Nordkirche zum Thema Gender-gerechtigkeit dort waren und ich in der Frauengruppe einen Bibliolog durchgeführt habe, der auf großes Interesse stieß. Seitdem gab es mehrere digitale Bibliologe und recht komplizierte Planungen für einen Kurs in der Jeypore-Kirche. Organisiert und finanziert (d.h. Flüge und Aufenthaltskosten für uns und die Teilnehmer*innen) wurde er vom Ökumene-Werk der Nordkirche.

Durchgeführt haben wir den Kurs in Puri, ca. 500 km von der Jeypore-Kirche entfernt. Dies hatte zum einen den Grund, dass die Pfarrer und vor allem die (wenigen) Pfarrerinnen kaum eine Woche unbehelligt von Gemeinde auf einer Fortbildung verbringen können, wenn sie in erreichbarer Nähe sind. Es sollte aber auch uns schützen, den Kurs an einem touristischen Ort durchzuführen (Puri liegt am Meer und ist ein Pilgerort mit einem berühmten Tempel in der Nähe), damit unsere Tätigkeit unter dem staatlichen Radar bleiben konnte. Denn in der hinduistisch geprägten Regierung mit den Zügen einer Diktatur sind christlich geprägte Tätigkeiten von Ausländer*innen verboten. Daher haben wir in einem internationalen Hotel übernachtet, während die Teilnehmer*innen in einem katholischen Ashram gewohnt haben, in dem auch der Kurs stattfand (der Ashram wurde von Steyler Missionaren gegründet, die bis heute eine beeindruckende Lepra-Arbeit in einer interreligiösen Perspektive haben. Der meditierende überlebensgroße Jesus im Hof ist wirklich eindrucksvoll.)

Teilgenommen haben 9 Pfarrerinnen und 6 Pfarrer (bzw. solche in Ausbildung), die von der Leiterin der Frauenarbeit direkt angesprochen wurden – nach den Kriterien, ob sie offen scheinen für einen interaktiven Ansatz und ob sie hinreichend Englisch verstehen. Einige kannten den Bibliolog von der Frauendelegation oder Zoom-Bibliologen, die meisten jedoch nicht. Sie waren durchweg sehr interessiert und engagiert. Waren wir vorher gewarnt worden, dass die Beteiligung möglicherweise niedrig sein würde, weil interaktive Arbeitsformen in den indischen Kirchen nicht üblich seien, wurden wir rasch eines Besseren belehrt: Nach den ersten beiden Rollen hatten sich alle Anwesenden bereits mit Beiträgen beteiligt. Gleichzeitig machten einige Teilnehmer*innen deutlich, dass der mit dem Bibliolog verbundene Paradigmenwechsel zu einem partizipativen Ansatz, der die Auslegungshoheit an die Gemeinde delegiert, für indische Christ*innen in der Tat sehr ungewohnt ist. Kirchliche Arbeit erfolgt ansonsten überwiegend frontal, die Pfarrpersonen besitzen eine hohe Autorität, die Kirche ist ebenso hierarchisch orientiert wie die Gesellschaft und die Theologie würden wir als „sehr konservativ“ bezeichnen. Wir haben sie ermutigt, den Bibliolog erst einmal kennenzulernen und dann zu prüfen, ob und wenn ja, in welchen Kontexten sie den Bibliolog einsetzen möchten (und nicht mit dem Gottesdienst zu beginnen, zumal dieser in der Regel von Hunderten von Menschen besucht wird). Die Rückmeldungen von denjenigen, die den Bibliolog inzwischen in den Gemeinden praktiziert haben, waren jetzt allerdings sehr positiv.

Eigentlich hatten wir für den Kurs einen Tag länger eingeplant als in Europa, was sich aber aufgrund von organisatorischen Fragen als nicht möglich herausstellte. Den Kurs in dem üblichen Zeitraum durchzuführen, war dann tatsächlich eine Herausforderung, weil für manche die englische Sprache doch eine große Hürde war und das mit dem europäische konzipierten Kursaufbau verbundenen Denken auch eher ungewohnt.

Wir haben daher die Konzeption der eigenen Bibliologe intensiver als sonst unterstützt. Letztlich waren dann auch alle Bibliolog bis auf einen, bei dem das sprachliche Verständnis ein großes Problem darstellte), gelungen und manche zeigten dabei ein hohes intuitives Verständnis in der Haltung und den Techniken. Unter diesen haben wir vier (weibliche) Personen angesprochen, ob sie sich vorstellen könnten, Trainer*innen zu werden, die alle zugesagt haben.

Im Bibliolog in Indien habe ich die gleiche Erfahrung gemacht wie in Südafrika oder in Brasilien: Er funktioniert in ganz unterschiedlichen Kontexten. Ich erkläre mir das so, dass im Bibliolog der Kontext ja bereits in den Text hineingetragen wird und daher der Ansatz als solcher weniger an einen Kontext angepasst werden muss. Der Kontext im Text bewirkt aber gleichzeitig, dass Fragen anders beantwortet werden. Das gilt beispielsweise für eine viel stärkere Berücksichtigung der spirituellen Ebene, als ich es in Deutschland erlebe, da sie im indischen Alltag wesentlich präsenter ist. Damit sind manche Fragen, auf die mir im deutschen Kontext nicht mindestens drei unterschiedliche Antworten einfallen würden, im indischen Kontext absolut ergiebig. Zugleich gibt es in manchen unterschiedliche „Fallen“: So war es beispielsweise für die indischen Bibliolog*innen eine Heraus-forderung, in der Hinführung nicht bereits die gesamte Geschichte inklusive Deutung vorwegzu-nehmen, weil ein solcher Überblick in der Predigt üblich ist und gefordert wird.

Insgesamt war es eine sehr intensive und erfüllende Woche. Das Bewusstsein, dass wir uns dabei in den Spuren unserer Urgroßeltern bewegen und gleichzeitig eine andere theologische und didaktische Ausrichtung vertreten, als sie damals üblich war, hat sie für uns zusätzlich noch besonderer gemacht.

Bibliolog in Brasilien wächst

Der Bibliolog fällt in Brasilien auf fruchtbaren Boden. Nach der furchtbaren Corona-Epidemie starten überall wieder erste Grund- und Aufbaukurse, die begeistert von den brasilianischen Trainer*innen angeleitet werden. Von Adriane und Jandir Sossmeier werden zurzeit fünf Trainer*innen ausgebildet und weitere sind im Blick. Ein Tropfen auf den heißen Stein angesichts der Größe Brasilien oder eben der Beginn einer Bewegung, die immer mehr Menschen erfasst.

Nach Deutsch und Englisch ist das Bibliolog-Buch jetzt auch in Portugiesisch erhältlich! Zusammen mit der Universität in Sao Leopoldo haben Jandir und Adriane viel Zeit und Energie in die Übersetzung des Bibliolog-Buches Band 1 investiert. Mit großer Freude wurde es am 13. März 2023 an der Universität in Sao Leopoldo der Öffentlichkeit präsentiert. Herzlichen Glückwunsch allen, die hier mitgewirkt haben.

Wenn Sie die Weiterentwicklung des Bibliologs in Brasilien unterstützen wollen, spenden Sie bitte. Unser Spendenaufruf für die Bibliologarbeit dort hat bis zum Jahresende 2022 € 1.100 Euro an Einzelspenden erbracht. Eine Gottesdienst-Kollekte und ein Dauerauftrag sind bereits im neuen Jahr auf den Weg gebracht, weitere Spenden und Aktionen sind herzlich willkommen. Jede unserer Spenden hilft! Gerne erhalten Sie eine Spendenbescheinigung.

Spendenkonto des Internationalen Bibliolog Netzwerk
Kreissparkasse Miesbach-Tegernsee
IBAN: DE10 7115 2570 0012 1096 74  SWIFF: BYLADEM1MIB
Stichwort: Brasilien

Bibliolog im Dialog – Einführung in den Midrasch

Bibliolog wird oft als „moderne Form des Midrasch“ bezeichnet, wie Peter Pitzele ihn ja auch versteht. Zum klassischen Midrasch als Weg der Auslegung biblischer Texte im Judentum gibt es jedoch auch deutliche Unterschiede. In der Zeitschrift „Loccumer Pelikan“ (Heft 4/2022, S.4-8) hat Ursula Rudnick eine schöne Einführung in den Midrasch (hier zu lesen) veröffentlicht, die wir auf diesem Weg weitergeben dürfen – herzlichen Dank dafür.

„Zweisprachig, international und ökumenisch“

Eine Bibliolog-Erfahrung während des Welttreffens des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) vom 31. August bis 8. September 2022 in Karlsruhe

von Annette Bernards

Die Welt war zu Gast in Karlsruhe. Vertreter*innen aus 150 christlichen Mitgliedskirchen kamen zusammen, um aktuelle und dringende Probleme und Fragen zu beraten. Die Beratungen der ca. 800 Delegierten fanden auf dem Festplatz in Karlsruhe unter einem riesigen Zeltdach statt. Sie wurden abends mit einem Abendgebet beschlossen, das jeweils von einer Konfession verantwortlich gestaltet wurde. 30 Minuten, der Schrifttext des jeweiligen Tages mit Auslegung, Beteiligungsmöglichkeit für die Mitfeiernden und Gestaltungselemente, die für die jeweilige Konfession prägend sind – das waren die Vorgaben.

Am Samstag, 3. September 2022 waren die Katholiken an der Reihe. Sowohl der Vatikan als auch die Zentrale des ÖRK in Genf hatten im Dekanat Karlsruhe angefragt, ob sich dort jemand findet, der diese Gebetszeit vorbereitet. Schnell war eine Gruppe von 4 Personen (Dekanatsreferent, Schuldekan, zwei Ehrenamtliche – eine davon war ich) gefunden. Unsere Idee: Wir machen einen Bibliolog zur vorgegebenen Tages-Bibelstelle „Zachäus“ (Lk 19,1-8), betten ihn ein in einen kleinen Wortgottesdienst mit Taizé-Gesängen, die sehr gut mehrsprachig gesungen werden können und einen Weihrauch-Ritus zu den Fürbitten. Die Schriftstelle, die Rollen und Fragen des Bibliolog mit den jeweiligen Fragen wurden in einem Begleitheft in vier Sprachen abgedruckt. Den Bibliolog habe ich in deutscher und englischer Sprache durchgeführt (Prolog, Hinführung, Rollen, Fragen, Ecchoing / Interviewing, Shifts und Deroling).

Das Ganze war schon etwas gewagt. Und im Vorfeld waren wir mit viel Skepsis konfrontiert: „Gibt es keine Predigt? Ist kein Priester dabei? Wäre nicht eine Vesper mit Psalmen geeigneter? Was ist denn überhaupt ein Bibliolog?“ Aber manchmal muss man einfach ein bisschen stur bleiben und ein Wagnis eingehen.

Ca. 200 Mitfeiernde hatten sich dann unter dem Zeltdach versammelt aus ganz verschiedenen Ländern; zahlreiche Bischöfe und die Vatikan-Delegation saßen in den ersten Reihen. Da gab es zunächst erstaunte, z.T. irritierte Gesichter, als es losging. Zum Glück haben sich gleich einige jüngere Menschen in die 1. Rolle eines Bürgers/einer Bürgerin von Jericho hineinversetzen können. Und als der erste afrikanische Bischof aus der Rolle des Maulbeerfeigenbaums heraus erzählte, wie es ihm als Baum mit dem Zachäus in seinen Ästen und Jesus vor ihm ging, war der Bann gebrochen. Es gab viele sehr positive Rückmeldungen. Und die Vatikan-Delegation hat sich überschwänglich bedankt für diese neue Erfahrung.

Die Bibel – Lehrmeisterin der Vielfalt

Die Bibel ist weder eindimensional noch gibt sie klare Antworten. Die biblische Wahrheit hat immer verschiedene Facetten, die im Bibliolog zum Leuchten gebracht werden. Auch mit Blick auf aktuelle Fragen und Herausforderungen zu Rollenverständnis und geschlechtergerechte Sprache kann der Bibliolog seinen Beitrag leisten. Die Masterarbeit von Julia Marie Graeper befasst sich mit dem „Bibliolog als didaktischem Ansatz zur Sensibilisierung geschlechtlicher Rollenbilder in einem Religionsunterricht der Vielfalt“ – ein absolut aktuelles Thema, das sich zu lesen lohnt.

Link zur Masterarbeit