Bibliolog im Religionsunterricht

Bibeltext: Exodus 1,15-21
(Die
Hebammen Schifra und Pua)

Die vierte Klasse einer Hamburger Grundschule beschäftigt sich mit der Mose-Überlieferung. Wie beim Hamburger Modell des „Religionsunterrichts für alle unter evangelischer Verantwortung“ üblich, nehmen alle Kinder der Klasse am Religionsunterricht teil, egal ob sie einer, und wenn ja, welcher Konfession und Religion sie angehören.

 Wir hatten die Einheit begonnen mit den Erfahrungen der Israeliten als Sklavinnen und Sklaven in Ägypten und von Sklaverei allgemein. Wir hatten über die Ungeheuerlichkeit, dass Menschen andere Menschen für ihren Besitz halten, gesprochen und über die Rolle des Pharaos im alten Ägypten, der sich als Gott verstand. Dies beschäftigte die Kinder – gleich welcher Religionszugehörigkeit – sehr, und sie formulierten deutlich: Kein Mensch darf von sich behaupten, Gott oder wie Gott zu sein!

 In der dritten Stunde der Einheit möchte ich die Schülerinnen und Schüler nun mit der biblischen Erzählung von dem Befehl des Pharaos an die Hebammen Schifra und Pua, die männlichen Neugeborenen zu töten, bekannt machen (Exodus 1,15-21). Dies ist nicht nur ein wichtiger Baustein für die Befreiung des Volkes Israel aus Ägypten, sondern thematisiert auch den Umgang mit Befehlen einer menschenverachtenden Autorität und stellt nicht zuletzt zwei der – im Religionsunterricht immer noch vernachlässigten – biblischen Frauengestalten in den Mittelpunkt. Ich möchte dies mit einem Bibliolog tun, der sich nicht nur für die Geschichte gut eignet, sondern in besonderer Weise die Chance zur Identifikation und zur Auseinandersetzung mit eigenen Einstellungen eröffnet. Die Klasse hat bereits einige Erfahrungen mit bibliologischen Zugängen zu biblischen Texten gemacht. Die „Spielregeln“ sind ihr bekannt, ich erinnere aber noch einmal daran (Prolog): Ich erzähle etwas aus der Geschichte, lese aus der Bibel und halte an einer Stelle an. Dann bitte ich, dass sich alle vorstellen, sie seien jetzt jemand aus der Geschichte. Ich frage sie etwas, und sie sagen etwas als Mensch aus der Bibel („ihr wisst ja, mit ‚ich\'“…) Ich erinnere auch daran, dass sie nichts Falsches sagen können und dass niemand etwas sagen muss, dass aber alle dürfen.

 Dann führe ich in die Geschichte von den beiden Hebammen Schifra und Pua ein (die Namen lösen Nachfragen und Gekicher aus, ich schreibe sie an die Tafel). Ich erzähle, was Hebammen taten und tun und erinnere an die Situation der Israeliten in Ägypten.

Dann lese ich aus der Gütersloher Erzählbibel vor:

 Da rief Pharao, der König Ägyptens, die Hebammen Schifra und Pua zu sich und befahl ihnen: „Wenn ihr einer Hebräerin bei der Geburt helft, dann passt genau auf, ob ein Junge oder ein Mädchen geboren wird: Die Jungen tötet, die Mädchen lasst leben!“

Ihr seid jetzt eine der beiden Hebammen, Schifra. Schifra, der mächtige Pharao befiehlt dir: Du sollst die Babys, denen du auf die Welt hilfst, töten, wenn es Jungen sind. Schifra, was meinst du dazu? Wie ist deine erste Reaktion darauf?

 

Spontan sind einige Finger oben.

– Ich mach\\\‘ das nicht. Ich helfe doch Babys, dass sie leben, und mach\‘ sie nicht tot!

Das bringe ich nicht fertig. Mein Job ist, dass Babys leben und nicht sterben!

– Der Pharao hat ja wohl einen Knall! Das kann der doch nicht machen!

Das ist ein furchtbarer Befehl, das geht überhaupt nicht!

– Genau, was bildet der sich eigentlich ein.

Was denkt der eigentlich, wer er ist, so etwas zu befehlen.

– Der denkt, er ist Gott, und das ist er nicht, und das darf er auch gar nicht denken.

Pharao macht sich selbst zum Gott, wenn er über Leben und Tod entscheiden will, und das darf kein Mensch!

– Aber was soll ich denn machen? Wenn ich das nicht mache, bringt der Pharao vielleicht mich um.

Ich habe Angst, was das für mich heißt, wenn ich das nicht tue. Wenn ich die Babys nicht töte, werde ich vielleicht selbst getötet.

– Der Pharao ist dann bestimmt furchtbar sauer, wenn wir das nicht machen.

Ich fühle mich ganz schön klein und hilflos und fürchte mich vor dem Zorn des mächtigen Königs.

– Ich glaub\‘ nicht, dass der Pharao mich umbringt! Gott will bestimmt nicht, dass ich die Babys umbringe, und dann beschützt er mich auch vor dem Pharao.

Ich bin sicher, dass Gott will, dass Kinder leben. Und dann beschützt er mich auch, wenn ich mich dem Pharao widersetze und tue, was Gott will.

Hören wir, wie die Geschichte weitergeht. Die Bibel erzählt:

 Schifra und Pua aber taten nicht, was Pharao ihnen befohlen hatte, denn sie kannten GOTT. Als Pharao merkte, dass sie sich seinem Befehl widersetzten, stellte er sie zur Rede.

 Ihr seid nun der Pharao. Pharao, du hast gemerkt, dass die beiden Hebammen nicht tun, was du gesagt hast, und hast ihnen nun befohlen, zu dir zu kommen. Pharao, was denkst du über die beiden Hebammen, während du darauf wartest, dass sie zu dir kommen?

 – Die spinnen wohl! Ich bin doch der Pharao, und die müssen tun, was ich sage!

Die missachten einfach meine Macht und tun so, als wäre ich gar nicht so mächtig! Das kränkt mich!

– Unverschämte Frauen! Na wartet!

Diese beiden Frauen machen mich wütend! Die sollen spüren, was es heißt, sich mir zu widersetzen.

– Genau, Kopf ab!

Ich werde sie töten lassen!

– Warum machen die das denn nicht. Die müssen doch Angst haben vor mir…?

Ich frage mich schon, woher die den Mut nehmen, einfach nicht zu tun, was ich sage.

– Was die wohl gleich sagen?

Ich bin auch etwas neugierig, was sie als Entschuldigung vorbringen – muss schon eine gute sein.

Die Bibel erzählt, was die Hebammen vorbringen:

Da erzählten sie ihm: „Wir können gar nichts tun: Die hebräischen Frauen sind stark und bringen ihre Kinder ohne unsere Hilfe zur Welt.“

 Du bist jetzt die andere Hebamme, Pua. Pua, du behauptest dem Pharao gegenüber, dass ihr gar nichts dafür könnt, dass ihr die Babys nicht tötet, weil ihr immer zu spät kommt. Wie ist das für dich, das zum König zu sagen?

 

 – Ist doch \’ne gute Idee, wir können eben nix dafür.

Super Ausrede, mit der habe ich mich gut rausgewunden.

– Bestimmt glaubt uns das der Pharao nicht und ist trotzdem sauer.

Ich fürchte, der Pharao durchschaut uns, dass wir die Babys gar nicht töten wollen, und ich habe Angst vor seinem Zorn.

– Diese frechen Hebammen, das stimmt doch gar nicht!

Da meldet sich der Pharao noch einmal zu Wort.

Ich, Pharao, bin empört über diese beiden Frauen, trauen die sich einfach, mir, dem mächtigsten Mann der Welt, so eine billige Ausrede ins Gesicht zu sagen! Die haben ja überhaupt keine Angst vor mir!

 – Die mach\‘ ich tot!

Ich werde mich an denen rächen, damit sie merken, wer stärker ist!

– Pharao, du kannst uns gar nichts!

Ich fühle mich stark und mutig und trete dir entgegen, Pharao!

– Und außerdem: Gott hilft uns bestimmt.

Unser Gott ist mächtiger als du, und er ist auf unserer Seite.

 

Die Bibel sagt dazu:

So leisteten die beiden Hebammen dem mächtigen Pharao Widerstand und verwirklichten Gottes Versprechen. Das Volk Israel wuchs weiter. Gott rechnete Schifra und Pua ihren Mut hoch an und verschaffte ihnen Ansehen über viele Generationen hinweg.

Vielen Dank, Schifra, Pua und Pharao, dass ihr hier wart und uns erzählt habt, wie das damals für euch war. Vielen Dank, liebe 4b, dafür, dass ihr den Menschen aus der Bibel eure Stimmen geliehen habt. Ihr seid nun nicht mehr Schifra, Pua und Pharao, sondern wieder ihr selbst. Und als ihr selbst hört ihr jetzt noch einmal die ganze Geschichte … (Ich lese die Geschichte noch einmal).